Die Gründung der Dokumentation Obersalzberg

Als die Amerikaner Anfang 1995 ankündigten, dass sie die „Recreation Area“  Berchtesgaden endgültig aufgeben und den Obersalzberg verlassen wollten, stellte sich nicht nur die Frage nach einer wirtschaftlichen Kompensation für den Abzug der US-Army, sondern vor allem auch die Frage nach dem „richtigen“ Umgang mit dem historischen Ort.

Anfang Februar 1995 gründete sich daher eine Bürgerinitiative, die die Errichtung einer „Gedenk- und Dokumentationsstätte am Obersalzberg“ forderte, „in der die Besucher die Möglichkeit haben, sich … über die Geschichte der Nazidiktatur am Obersalzberg zu informieren“. Während sich die Presse weit über Berchtesgaden hinaus des Themas annahm, lehnten die verantwortlichen Politiker dies zunächst kategorisch ab. Unter dem Druck der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit beschloss die Bayerische Staatsregierung in Abstimmung mit dem Landkreis Berchtesgadener Land und der Marktgemeinde Berchtesgaden das sogenannte „Zwei-Säulen-Konzept“ für die künftige Nutzung des Geländes. Dieses sieht zum einen den Bau eines „Hotels der gehobenen Klasse“ – das für rund 50 Mio. € erbaute und 2005 eröffnete Interconti (seit 2015 Kempinski Hotel Berchtesgaden) – und zum anderen die Errichtung einer der „besonderen Geschichte des Ortes“ entsprechenden Dokumentationsstätte vor.

Das Bayerische Finanzministerium als Hausherr des Obersalzbergs beauftragte sehr schnell das Institut für Zeitgeschichte mit der Entwicklung und Realisierung eines Konzepts für eine historische Dokumentation über die Geschichte und Bedeutung des Obersalzbergs in der Zeit des Nationalsozialismus. Am 20. Oktober 1999 wurde die für 4 Mio. DM errichtete Dokumentation Obersalzberg eröffnet.

Zur Konzeption der Dokumentation Obersalzberg

Als zweites Machtzentrum des Deutschen Reichs neben Berlin zählt der Obersalzberg zu den sogenannten Täterorten, die sich im Spektrum der nationalsozialistischen Geschichtsorte typologisch von den sogenannten Opferorten unterscheiden lassen. Diese Unterscheidung ist zwar nicht ganz schlüssig und nach wie vor nicht ganz unproblematisch, weil es einen „täterfreien“ Opferort begrifflich und real nicht gibt und der Begriff des Täterorts auch in dem absolut gegenteiligen Sinne des Mordplatzes verstanden werden kann. Mangels einer praktikablen Alternative hat sich diese Kategorisierung aber inzwischen durchgesetzt.

Während der Begriff des Opferorts unmittelbar verständlich ist, bedarf die Kategorie des Täterorts, wie gelegentliche Missverständnisse zeigen, der Erläuterung. Als Täterorte werden erstens die Orte der „Schreibtischtäter“ verstanden, die real nicht unbedingt ganz „opferfrei“ sein müssen, bei denen aber die Zahl der Opfer im Verhältnis zu den von diesem Ort aus anderswo bewirkten Opferzahlen in keinem Verhältnis steht; ein Täterort dieses Typs ist das Gelände des ehemalige Reichssicherheitshauptamts in Berlin mit der Dauerausstellung „Topographie des Terrors“. Als Täterorte werden zweitens Orte verstanden, die für die Nationalsozialisten selbst von herausgehobener Bedeutung waren und dabei nicht Standort von Institutionen des Verfolgungs- und Vernichtungsapparats gewesen sind. 

Der Obersalzberg war in diesem doppelten Sinn ein Täterort in Reinform: Hier wurden im kleinsten Kreis Verbrechen größten Ausmaßes ersonnen, besprochen und geplant, nicht aber begangen. Am Obersalzberg war der Blick demgemäß primär auf die Täter zu richten, aber eben nicht nur auf das, was sie am Obersalzberg sichtbar taten, sondern auch und vor allem auf das, was sie hier hinter der Fassade beschäftigte, auf ihr ganzes Denken und Tun, das in den Völkermord und die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führte.

Indessen war der Obersalzberg nicht nur ein Zentrum der Machtausübung, er war auch Schauplatz des Hitler-Kults, durch den der – Hitlers persönliche Diktatur legitimierende – Führer-Mythos immer aufs Neue genährt wurde. Nach Fertigstellung des Berghofs im Jahr 1936 empfing der „Führer“ hier mit Vorliebe Staatsgäste und andere hochgestellte Persönlichkeiten, um sich als großer, weithin geachteter Staatsmann zu präsentieren. Hier konnte Hitler auch vor majestätischer Bergkulisse als ein den Niederungen des Alltags entrückter Visionär dargestellt werden. Gleichzeitig und vor allem fügte der Obersalzberg dem Bild des genialen „Führers“ gemüthafte Werte hinzu. Der Kult lüftete zum Scheine den Schleier vor Hitlers Privatleben und zeigte ihn hier als den einfachen Mann aus dem Volk, als Kinder-, Tier- und Naturfreund, als guten Nachbarn, kurz als normalen, herzensguten Menschen, dem man blind vertrauen konnte. Diese Inszenierung von Durchschnittlichkeit und Normalität, die von vielen noch heute mit der historischen Wirklichkeit verwechselt wird, galt es als das zu entlarven, was sie war: subtile Propaganda, die Hitlers persönliche Macht und sein Regime zu festigen half.


Außer diesen historischen Prämissen war auch die Situation Mitter der 1990er Jahre am Obersalzberg zu berücksichtigen. Die Fahrt über die in steile Bergflanken geschlagene Kehlsteinstraße mit ihren atemberaubenden Tief- und Ausblicken auf den Königssee und eine grandiose Bergwelt ist seit Jahrzehnten ein touristisches Highlight Berchtesgadens. Mehr als 300 000 Besucher fahren jährlich zum Kehlsteinhaus hinauf und eine stattliche Zahl von ihnen verweilt eine Zeit lang auf dem Obersalzberg, um nach Überresten des Hitlerschen Domizils zu suchen. Diese Menschen werden ganz offenkundig von der historischen Authentizität des Ortes angezogen, von einer Aura, die der Ort trotz aller Versuche, die historischen Spuren auszulöschen, nie verloren hat. Dabei spielen nur bei einer kleinen Minderheit nostalgische Bedürfnisse oder gar rechtsextreme Überzeugungen eine Rolle. Die meisten erliegen der Anziehungskraft, die allen authentischen Orten von herausragender historischer Bedeutung eigen ist, wenn auch dieser „Magnetismus“ am Obersalzberg besonders stark zu sein scheint.


Bei der historischen Spurensuche in dem durch die Abtragung der Ruinen und die teilweise Wiederaufforstung ein zweites Mal bis zur Unkenntlichkeit veränderten Gelände waren die Menschen Jahrzehnte lang auf sich alleine gestellt oder auf unseriöse Broschüren angewiesen. Diese richteten den Fokus hauptsächlich auf das vermeintliche Privatleben Hitlers und seiner Entourage und verlängerten auf diese Weise die braune Obersalzbergpropaganda bis in die Gegenwart hinein. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, durch seriöse Informationen einer Banalisierung des Ortes und einer Verharmlosung Hitlers und seines Regimes entgegenzuwirken.

Da der Obersalzberg ebenso wie die Reichshauptstadt und – im Krieg – die „Führerhauptquartiere“ ein Ort war, an dem das gesamte Spektrum von Überlegungen, Planungen und Entscheidungen des Regimes präsent gewesen ist, geschieht dies durch die Verbindung der Ortsgeschichte mit allgemeinen Geschichte des Nationalsozialismus.

Informationen zur Konzeption der aktuellen Dauerausstellung finden Sie hier!

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